Gender. Ein Wort in aller Munde. Kaum ein Thema vermag derart zu polarisieren wie Gender. Aber warum? Und wissen jene, die so laut schreien, wovon sie sprechen?
Hört mir doch auf mit dem Gender-Wahn
Gender ist allgegenwärtig, ob mit oder ohne Wahn.
Aufhören bitte, mit der Polarisierung.
Aufhören bitte, das Kind mit dem Bade auszuschütten!
Und bitte sehr: Informiert euch, bevor ihr schreit.
Gender – was heißt dieses Wort überhaupt?
Im Deutsch haben wir nur ein Wort – noch dazu kein schönes. Wir sagen „Geschlecht“ wenn wir zwischen Männern und Frauen unterscheiden. Die englische Sprache unterscheidet zwischen dem biologischen Geschlecht, das sich auf Körpermerkmale bezieht (=Sex) und dem sozialen Geschlecht (=Gender). Wir wurden als Mädchen oder Bursch erzogen. Wir haben gelernt, was sich als Mädchen gehört, uns wurden Puppen zum Spiel angeboten, Burschen wurde gesagt, ein Indianer kennt keinen Schmerz, und so weiter. Selbst wenn deine Eltern versucht hatten, dich nicht in eine soziale Rolle zu drängen, du entkommst nicht. Die sozialen Zuschreibungen passieren überall, vielfach unbewusst. Ein Lady-shaver ist rosarot, die Verpackung eines Rasierers für Männer weist Kraftsymbole auf. Beiden gemeinsam ist, sie können einfach nur rasieren. Das ist nur ein Beispiel, dass die Sozialisation als Frau oder Mann allgegenwärtig ist.
Es gibt mehr als ein Geschlecht
Nicht bei allen Neugeborenen kann das biologische Geschlecht eindeutig festgestellt werden. Laut aerzteblatt.de liegt die Zahl zwischen 0,01 und 0,02 Promille. Wir wissen auch, dass es Menschen gibt, die sich in ihrem Körper mit dem nach außen sichtbaren Geschlechtsmerkmalen nicht zu Hause fühlen. Es ist eine Errungenschaft unserer Zivilisation, dass solche Menschen vor Diskriminierung geschützt werden.
Die Auswüchse in diesem Bereich, die derzeit die öffentliche Diskussion befeuern, sind nicht Thema dieses Artikels. Es ist bedauerlich, dass Maßnahmen zum Schutz von Minderheiten von manchen auch dazu benutzt werden, eigene Privilegien auszuweiten.
Dieser Artikel will davor warnen, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten und das Gender-Thema wieder ins richtige Licht rücken. Zur Erinnerung: Gender bedeutet, soziales Geschlecht, also das, wie wir gelernt haben, unsere Rollen zu leben.
Es bricht mir das Herz
Seit Jahrhunderten kämpfen und kämpften Frauen um ihre Rechte. Allen voran Marie Olymp de Gouges. In der Zeit der französischen Revolution wurden Menschenrechte als Männerrechte verstanden. Marie Olymp de Gouges setze sich für Anerkennung privater und politischer Bürgerinnenrechte ein und verfasste 1791 die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin. 1793 wurde sie durch die Guillotine hingerichtet.
Unzählige Frauen vor ihr wurden am Scheiterhaufen verbrannt, zahlreiche nach ihr kämpften für Gleichstellung.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gingen Frauen auf die Straße und kämpften für das Frauenwahlrecht. Sie demonstrierten in weiten Teilen Europas und Amerikas auch für Arbeitnehmerinnen-Schutzbestimmungen und soziale Sicherheit. Viele der Vorkämpferinnen bezahlten ihr Engagement mit Gefängnisstrafen, manche mit dem Tode.
Durch den ersten Weltkrieg wurde aus der Frauenbewegung eine Anti-Kriegs-Bewegung. „Brot! Nieder mit dem Krieg! Nieder mit dem Absolutismus!“ riefen die mutigen Frauen durch die Gassen.
In ihrem Kampflied Brot und Rosen sangen sie: „Wenn wir zusammen gehen, kämpfen wir auch für den Mann, weil unbemuttert, kein Mensch auf die Erde kommen kann. … Gebt uns das Brot, doch gebt die Rosen auch.“
Wir haben doch Gleichstellung erreicht, oder?
Wir leben in Mitteleuropa, in einem Land, in dem ich mir als Frau aussuchen darf, welchen Beruf ich erlerne und ausübe, ob ich heirate und Kinder haben will oder nicht und vieles mehr.
Wir hätten gerne die gleiche Bezahlung. Der Equal-Pay-Day beweist leider, dass gleicher Lohn für gleiche Arbeit noch immer nicht umgesetzt ist. Und nein, es liegt nicht daran, dass viele Frauen Teilzeit arbeiten. Der Equal Pay-Day zieht arbeitszeitbereinigte Berechnungen heran.
Die Corona-Pandemie hat deutlich gezeigt, dass in der bezahlten Arbeitswelt die Männer die Nase vorn haben und unbezahlte Care-Arbeit zu weiten Teilen den Frauen bleibt. Auch in Österreich. In einem Land mit einem super Sozialsystem.
In ärmeren Ländern potenziert sich die Last, die von den Frauen getragen werden muss.
Unbezahlte Arbeit ist unsichtbar
Ach ja. Teilzeit. Warum sind so viele Frauen in Teilzeitjobs? Ich weiß, die Gründe sind vielfältig. UND es sind meistens die Frauen, die sich um Kinder, Haushalt und Pflege kümmern. Ja, es ist schön, bei dem Kleinkind daheim bleiben zu können. Und es ist anstrengend. 24 Stunden, 7 Tage die Woche.
Und ja, auch Väter würden das gerne machen – manche zumindest. Zeitweise. Aber da ist wieder das liebe Geld. Kann sich die Familie das leisten? Der Mann verdient viel mehr als die Frau. Was, wenn er seinen Job verliert? Die tollen Projekte während der Karenz an andere verteilt werden?
Ein Klient erzählte mir, dass er während der Corona-Zeit, die Dienstreisen so vermisst habe und er jetzt um diese wieder kämpfen müsse. Ich war erstaunt. Seinen Schilderungen zufolge ging es nicht um effizientere Gespräche oder Geschäftsabschlüsse. „Am Flughafen habe ich Zeit für mich. Im Flugzeug kann ich das Handy ausschalten. Niemand will etwas von mir. Am Abend habe ich in einem schicken Hotel meine Ruhe. Kein Kindergeschrei. Keine Hektik am Morgen. Ein feines Frühstücksbuffet. Viel Zeit für mich.“
Hmm. Wer hätte das gedacht?
Frauen und Karriere
Frauen sollten ihre Karriere besser im Blick haben. Ja. Aber Vorsicht, sobald sie Kinder hat, gerät sie in Gefahr, eine Rabenmutter zu sein. Gut, damit kann sie leben. Das lässt sie nicht an sich heran. Sie ist emanzipiert und hat einen Mann, für den es selbstverständlich ist, die Versorgungsarbeit 1:1 aufzuteilen.
Damit sind wir wieder beim Gender-Thema. In den Schulbüchern operieren Ärzte und pflegen Krankenschwestern. Piloten fliegen, Stewardessen servieren. Notare kümmern sich um Rechtsgeschäfte, Professoren lehren, Sachbearbeiterinnen tippen und kopieren. Im Handel sitzen die Verkäuferinnen an den Kassen. Da werden Frauen beim Namen genannt. Und Männer haben es schwer, als Elementarpädagogin Fuß zu fassen, das weiß jedes Kind. Viele Lehrerinnen werden von einem Direktor gemanagt.
Mach die Ohren auf
Zahlreiche Studien belegen, dass es einen Unterschied macht, welche Antworten Kinder auf Berufsmöglichkeiten geben, je nachdem, ob männlich oder genderneutral formuliert gefragt wird. Jenen die sagen, Frauen sind eh mit-gemeint, kann ich nur entgegenrufen: Mach die Ohren auf. Es stimmt schlicht weg nicht.
Ich weiß, dass es nicht einfach ist, genderneutral zu formulieren. Alle Versuche sind Kompromisse.
Jenen die meinen, es wäre dann so schwer zu lesen, schlage ich vor, nur mehr die weibliche Form zu nehmen. Dann wird sich herausstellen, ob sich die Männer mit-gemeint fühlen.
Mädchen, du kannst auch Notarin werden, oder Chirurgin, oder Generalsekretärin, oder Anwältin, oder Bundespräsidentin, oder oder oder.
Ein neues Wort etablieren
Eine lebendige Sprache entwickelt sich weiter. Neue Wörter kommen hinzu. Unser Land der Berge ist nicht nur voll von großen Söhnen sondern voll von ebenso vielen großen Töchtern. Lange Zeit waren sie nicht mit-gemeint. Nicht erwähnt ist nicht vorhanden.
Sprache schafft Wirklichkeit.
Ich mag das Wort Gender auch nicht. Suchen wir ein neues! Schreib in den Kommentaren, welches dir einfällt.
Und Geschlecht ist wirklich auch kein schönes Wort. Ich ersetze es als Gegut. Als ersten Anlauf, um anstelle des Kampfes der Geschlechter ein Miteinander der Geguten zu etablieren.
Zum Weiterlesen:
Zahl der Neugeborenen ohne eindeutige Geschlechtszuordnung gering (aerzteblatt.de)
Lebenslauf – Olympe de Gouges (olympe-de-gouges.info)
Internationaler Frauentag – Wikipedia
11 Antworten
Toll erklärt, so hab ich das noch nicht gesehen. Trotzdem ist die „Gender“ Schreibweise sehr verwirrend und zerstört den Textfluss. Mich würde interessieren, wie das in anderen Sprachen aussieht. Im Englischem ist es ja kein Problem..
Da hast du recht, liebe Helga. Es braucht einiges an Kreativität, genderneutral und lesefreundlich zu formulieren. Ich weiß nicht, wie es in anderen Sprachen ist.
Und es ist ja nicht damit getan, die männliche und die weibliche Form zu verwenden, solange die gewohnten Stereotype bedient werden. Wenn im Lesebuch steht: „Die Kinder helfen der Mama im Haushalt. Marie trocknet das Geschirr und Lukas klettert auf die Leiter um die Vorhänge aufzuhängen.“ 😬🙄🙄
Danke für deinen Beitrag ❤️
Liebe Helga,
Zu deiner Frage, wie das in anderen Sprachen ist, war am Wochenende ein interessanter Beitrag von in den Oberösterreichischen Nachrichten. Demnach unterscheiden manche Sprachen bis zu fünf Geschlechter, eine australische Sprache sogar fünfzehn. Andere haben nur ein grammatikalisches Geschlecht, zB Finnisch, Ungarisch, Estnisch, Türkisch, Indonesisch und Vietnamesisch. (vgl. Roman Sandgruber, Oberösterreichische Nachrichten, 01. Juli 2023, Magazin Seite 7)., Laut Kübra Gümüsay gehört auch Persisch und Japanisch dazu. (vgl. Kübra Gümüsay, Sprache und Sein. btb-Verlag 2021, Seite 16).
Finde ich interessant.
Danke für deine Frage
Wow , liebe Barbara vielen Dank!
Herzlichst Katrin
Danke liebe Karin ❤️
Liebe Barbara,
deinen Gedanken und Ausführungen kann ich mich voll inhaltlich anschließen.
Es ist traurig, dass wir unsere Schreibweise und Sprechweise erst so anpassen müssen, dass wir Frauen ins „gerechte“ Licht gerückt werden. Aber, auch wenn es sprachlich oft holpert und auch als lästig empfunden wird: Worte schaffen Bewusstsein. Und hier, in der Bewusstheitsbildung unserer Gesellschaft sind wir noch lange nicht gleichauf.
Gerade über dieses Thema diskutiere ich sehr oft mit meinen beiden erwachsenen, sehr gut ausgebildeten Töchtern, die die Ungleichbehandlung von Frauen in Gesellschaft und Berufswelt hautnah miterleben und versuchen dagegen anzukämpfen.
Da ich selber ja noch aus einer Generation komme, in der die Rolle der Frau ganz selbstverständlich als nachrangig, der des Mannes galt, habe ich durch meine Töchter die letzten Jahre ein schärferes Bewusstsein dafür entwickelt und erkenne immer öfter, woran es noch hakt und was falsch läuft. Es gibt noch viel zu tun und wir Mütter tun gut daran, unsere Töchter in ihrem Streben nach Gleichberechtigung zu unterstützen.
Danke für deine Gedankenimpulse, Ingrid
Danke für deinen Beitrag, liebe Ingrid. Ja genau, Sprache schafft Bewusstheit. Und Sprache darf sich weiter entwickeln 👍😀
Hallo Barbara!
Danke für deinen Artikel. Meine Gedanken dazu. Ja, du hast Recht, Frauen sollen die gleichen Rechte haben wie Männer. Ich habe mich damit abgefunden oder vielleicht mich auch bewusst dazu entschieden keine großartige Kariere anzustreben, auch wenn ich könnte, sondern mehr Zeit für meine Kinder zu haben. Es ist auch leider oder zum Glück von Natur aus so vorgesehen, dass halt nur die Frau schwanger werden kann, Baby bekommen kann, Milch produzieren kann usw. Und ich als Frau wollte das auch unbedingt genießen können. Zum Glück verlangte mein Mann auch nicht, dass ich unbedingt so viel Geld wie er verdienen muss und ihm passt das auch ganz gut, dass ich mich so entschieden habe. Er hat mehr Zeit für seinen Beruf und ich halte ihm den Rücken frei. Und genieße meine Mutterschaft und habe auch nicht den lästigen Stress mit Beruf und Karriere. Mir war das von Anfang an bewusst, dass ich das mit nicht antun will beides unter einen Hut bringen zu müssen. Die Frauen, die diesen Spagat zwischen Beruf und Familie machen müssen sind bewundernswert, aber ich beneide sie nicht. Es ist schwer! Wenn sich eine Frau sich dazu entscheidet Kariere zu machen und keine Kinder zu bekommen, ich respektiere diesen Wunsch. Wenn sie beides machen will, respektiere ich das auch. Wenn sich die Frau dazu entscheidet keine Kariere machen zu wollen und liebe ihre Mutterschaft genießen, finde ich das genau so respektabel. Jede soll ihr Leben leben können wie sie will. Darum geht es glaube ich auch bei der ganzen Emanzipation, oder nicht? Dass die Frau mehr Rechte bekommt und aber dann selbst entscheiden kann was sie selbst möchte. Ich stehe jedenfalls zu meiner Entscheidung und bereue auch nichts. Meine Werte waren in der Reihenfolge: Familie ganz oben und dann viele andere schöne Dinge des Lebens und dann erst die Arbeit. Für jemanden ist das vielleicht anderes. Und das ist auch in Ordnung.
Ich fühle mich auch nicht irgendwie ungerecht behandelt deswegen, weil ich nicht beides konnte. Ich konnte, aber mir war bewusst was das mit sich für Stress bringt und was ich dadurch verliere und habe mich bewusst dagegen entschieden.
Was ich allerdings noch dazu sagen möchte ist folgendes. Durch die ganzen Diskussionen wegen Frauenrechte und über die Frauen, die ihr Recht erkämpfen Kariere machen zu dürfen, fühle ich mich ein bisschen unverstanden und abgewertet wegen meiner Entscheidung mich nicht um Kariere zu kümmern, sondern um meine Kinder. Bin ich deswegen weniger emanzipiert? Bin ich deswegen weniger wert als Mensch, wenn ich keine Kariere mache? Muss ich denn unbedingt eine Kariere machen um jemanden gerecht zu werden oder zu gefallen? Kann ich mich nicht einfach zurücklehnen und mein Leben genießen ohne schlechtes Gewissen haben zu müssen? Ich habe das Gefühl es wird von mir erwartet, dass ich eben alles wie ein Mann mache und schaffe. Ist das so? Was ist, wenn ich das gar nicht will? Ich denke ich habe auch Recht mein Leben so zu leben wie ich will? Oder nicht?
Liebe Oksana!
Vielen Dank für deinen Beitrag. Deine Zeilen berühren mich sehr, denn sie bringen etwas zum Ausdruck, das viele Frauen betrifft: Darf ich so sein wie ich bin? Darf frau ihr Leben nach eigenen Maßstäben leben? Warum glauben wir Frauen so oft, wir müssen uns für unsere Entscheidungen rechtfertigen? Du bringst das super zur Sprache: Es ist in Ordnung, wenn ich es anders mache, ebenso wenn andere es anders machen. Wie du sagst, es geht um Wahlfreiheit.
Und es geht um die Verteilung der Ressourcen.
Wenn sich ein Paar gemeinsam für die traditionelle Rollenaufteilung entscheidet – alles Bestens. Vorsicht ist geboten, wenn es ums Geld geht. Insbesondere was die Pensionsbeiträge betrifft. Ich plädiere sehr für das Pensionssplitting, damit der gleich hohe Pensionsbeitrag auf beide Beitragskonten fließt. Ich kenne viel zu viele Frauen (und bin eine davon), die mit wenig Pension auskommen müssen, weil sie für die Kinder da waren, weil sie dem (Ex-)Ehemann den Rücken frei gehalten haben, weil sie die Versorgungsarbeit gemacht haben.
Ich finde es großartig, wie wir hier das Thema diskutieren. Ich werde sicher noch mehr zu diesem Thema schreiben. Danke für deine Inspiration!
Alles Liebe
Barbara