Vom Ehrgeiz getrieben
Eigentlich hätten wir umdrehen sollen. Dort bei den Latschen, wo wir uns hingekauert hatten, um ein wenig Schatten zu ergattern. Dort, wo wir eine kleine Pause machten und feststellten, dass der Trinkwasservorrat knapp wird. Wir hatten vergessen, bei der Hütte unsere Wasserflaschen aufzufüllen.
So sitzen wir weit nach Sonnenuntergang im Zug zurück nach Linz und resümiertn über den Tag. War es leichtsinnig, nicht abzubrechen? Ich fühle mich schuldig. Schließlich bin ich es, die mehr Erfahrung hat. Ich kenne meinen Ehrgeiz. Zweihundert Meter unter dem Gipfel aufgeben?
Die Augustsonne war erbarmungslos, als wir uns oberhalb der Baumgrenze Richtung Gipfel kämpften. Die Beine schwer, der Körper müde. Um vier Uhr morgens bin ich in die Straßenbahn gestiegen. Es musste der erste Zug sein, denn bis ins Gesäuse ist’s ein weiter Weg . Mit dem Auto ginge es viel schneller, aber schließlich ist Frau stolze Klimaticket-Besitzerin.
Ich will hinauf
Ich kenne ihn, den Sog, der mich befällt, wenn das Gipfelkreuz in Reichweite ist. Die letzten Meter zieht es mich förmlich hinauf. Da gebe ich nochmal alles. Ich will hinauf, schreit jede Zelle. Ich will Weite sehen.
Stehen. Staunen. Fotografieren. Die Jause aus dem Rucksack. Viel Essen. Gemütlich sitzen. Eine Stunde ist schnell vorbei.
Überforderung
In den frühen Nachmittagsstunden meinte es die Sonne noch einmal besonders gut. Unter der Kappen staute sich die Hitze. Auch beim Abstieg werden die supersaugfähigen Shirts durchgeschwitzt.
Hast du eine Tablette gegen Kopfschmerzen? Oje. Zu viel Sonne. Zu viel Anstrengung in der Mittagshitze.
Bis zur Hütte ist es nicht mehr weit. Trinken. Viel trinken.
Das Mobiltelefon aufladen. Zugverbindung suchen. Der 17 Uhr Zug geht sich nicht aus.
Die Kopfschmerzen werden unerträglich. Tausend Höhenmeter Abstieg liegen vor uns. Undenkbar. Der Hüttenwirt hat Platz, wir könnten bleiben.
Wieder dieser Ehrgeiz. Ich will nicht. Ich will daheim genüßlich duschen und in meinem Bett ruhen und morgen wieder fit für die Arbeit sein.
Pause machen – weiter geht’s
Das Medikament wirkt. Wir können absteigen. Diesmal denken wir an die Wasserflaschen.
Das Bad im Gebirgsbach erfrischt und wir erreichen den letzten Zug. Die Nacht bricht an.
Ein verrückter Tag. Nein, das machen wir nicht mehr, so eine lange Anreise und und dann eine Tour mit 1400 Höhenmetern.
Aber cool wars schon.
Naja, ich war zu ehrgeizig. Wir hätten umdrehen sollen.
Aber warum? Wir wollten beide auf den Gipfel. Und wir haben es geschafft. Und wir waren nie in Gefahr.
Gefahrenzone
Nein, wir waren nie in Gefahr. Ich hatte schon öfter eine Tour abgebrochen, weil es zu gefährlich gewesen wäre, weiter zu gehen.
Ich weiß, dass es am Berg kein „um jeden Preis“ geben darf.
Und ich liebe diesen Gipfelsog, wenn ich von meinem Ziel so angezogen werde. Alles gebe, in der Vorfreude auf den Gipfelsieg.
Im EuStress
Diesen Gipfelsog kenne ich auch aus anderen Situationen. Als ich meine zweite Masterthesis geschrieben hatte, bin ich zum Ende hin oft bis spät in die Nacht dabei gesessen und meistens wieder zeitlich aufgestanden um weiter zu arbeiten. Das nahe Ziel hat mich angespornt.
Warum machen Sie sich so einen Stress, hatte meine Betreuerin gefragt.
Weil ich mir dieses Datum als Abgabetermin gesetzt hatte.
Wäre ich ohne den selbstgesetzten Termin so in diesen Eustress gefallen? Hätte mich der Gipfelsog gepackt, wenn ich nicht zielgerichtet fertig werden hätte wollen?
„Es steigt der Mut mit der Gelegenheit.“
Shakespeare
Selbstüberwindung
Die eigene Komfortzone verlassen, weiter gehen auch wenn sich Müdigkeit zeigt. Das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen.
Das stärkt deine Muskeln. Befeuert deinen Mut. Lässt dich wachsen. Wachstum passiert bekanntlich an der Grenze – darüber habe ich schon gebloggt.
Grenzerfahrung
Die eigenen Grenzen zu erkennen, bleibt einen lebenslange Herausforderung. Wird mein Durchhaltevermögen gestärkt, wenn ich mich überwinde? Oder bin ich der Erschöpfung nahe?
Wann ist es Zeit, Pause zu machen? Ist das Ziel im Endspurt ereichbar oder ist der Weg noch lang?
Gerade beim Bergsteigen erleben wir immer wieder Situationen, wo Gipfel oder Hütte schon weithin sichtbar sind, der Weg sich aber zieht und zieht. Manchmal ist Schlechtwetter im Anmarsch, das zum Umkehren drängt.
Auch im Business zieht manchmal „Schlechtwetter“ auf. Die Bedingungen haben sich geändert. Das Ziel hat seinen Glanz verloren. Durchhalten nur um des Durchhalten willens ist vergebene Liebesmüh. Was nützt es, tropfnass am Gipfel zu stehen, umringt von dicken Nebelschwaden und sich beim Abstieg womöglich noch zu erkälten. Deine Ausbildung zur Texteditorin kannst du getrost abbrechen, ChatGPT hat deinen Gipfel im Nebel vergraben.
Kurskorrektur
Beim Bergsteigen hilft eine Wanderkarte. Die gibt Auskunft über Steigung, zu erwartende Wegzeit, Schutzhütten und so weiter.
Aber wie ist es in einem Projekt? Da sind die Wanderkarten meistens ungenauer. Die vereinbarte Zeit wird überschritten, das haben Projekte so an sich.
- Innehalten und immer wieder den Kurs zu überprüfen ist hilfreich. Eine Pause schafft Raum, um mit etwas Abstand auf den Weg zu schauen.
- Wenn du in einer Firma arbeitest, kläre die Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Vielleicht kannst du etwas abgeben? Manchmal hilft es, die Situation anzusprechen.
- Schluss mit der einsamen Wölfen. Suche dir Verbündete. Besprich dich mit Kolleginnen oder Kollegen.
Wenn du ein Ein-Personen-Unternehmen hast, suche dir Netzwerke.
In der Vergangenheit, als ich noch in NÖ als Selbständige gearbeitet habe, war ich oft einsam. Mir fehlte ein Team. Mittlerweile habe ich in den Schreibschwestern eine neue Familie gefunden und als Mitglied der Mastermind von Laya Commenda habe ich ein Netzwerk von kompetenten Frauen gefunden.
Neben fachlichem Austausch nützen wir die Gruppe auch um Feedback einzuholen und uns anzuspornen. - Feiere deine Erfolge!
Freu dich über jeden Etappensieg. Beim Bergsteigen hüpft mein Herz, sobald wir einen Aussichtspunkt erreichen. So hoch oben sind wir schon, wow! Was für ein Ausblick.
Im Business sind errichte Zwischenziele nicht immer auf Anhieb erkennbar. Umso wichtiger ist es hinzuschauen und auch kleine Schritte zu würdigen. Sich selbst auf die Schulter klopfen sollte zu einer täglichen Routine werden, finde ich.
Von Pipi lernen
Das mutige Mädchen von Astrid Lindgren lebt es uns vor:
„Das habe ich noch nie vorher versucht, also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe.“
– Pippi Langstrumpf
Herausforderungen gibt es täglich. Das Leben fragt uns auch nicht. Manchmal werden wir vor Aufgaben gestellt, die wir zu gerne dankend abgelehnt hätten. Wir werden ins Wasser gestoßen und müssen schwimmen lernen.
Erzähl mir von deinen Erfahrungen, wann bist du über deine Grenzen gegangen? Hast Dinge erreicht, von denen du niemals geglaubt hättest, dass dies möglich ist? Ich freu mich über deinen Kommentar.